13. Verlegung von Stolpersteinen am 13.04.2019 in der Westbahnstraße in Landau

13. Verlegung von Stolpersteinen am 13.04.2019 in der Westbahnstraße in Landau

Am 13.04. wurden in feierlichem Rahmen zum dreizehnten Mal Stolpersteine für Landauer Opfer des Holocaust verlegt. Die musikalische Begleitung von Michael Letzel mit dem Akkordeon und die Verlesung der Biographien und Schicksale der Menschen durch Mitglieder der Landauer Stolpersteininitiative verlieh der Verlegung der 14 neuen Stolpersteine eine feierliche und würdige Atmosphäre. Landaus Bürgermeister Dr. Maximilian Ingenthron fand wieder die richtigen und mahnenden Worte zu diesem besonderen Anlass und schlug in seiner Ansprache auch den Bogen von der Vergangenheit in die bittere Gegenwart und Realität:

„ (…) wenn wir jetzt diese 14 Stolpersteine verlegen, geben wir den Menschen ihren Namen und ihren Platz in unserer Mitte wieder – und damit ein Stück ihrer Würde, die ihnen die Nazis genommen haben. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Dieses Bekenntnis im Grundgesetz ist eine der zentralen Lehren aus der Zeit des Nationalsozialismus. Diese Verpflichtung umfasst indes nicht nur die staatliche Gewalt, sondern uns alle. Jede und jeden von uns ganz persönlich. Es ist unsere Verpflichtung in der Gegenwart – in der Verantwortung gegenüber unserer Vergangenheit. Für eine Zukunft, die allen Menschen eine gute Perspektive für ein selbstbestimmtes Leben bietet. Wir alle sind aufgerufen, uns aktiv gegen jegliche Tendenzen zur Radikalisierung in unserer Gesellschaft zu stemmen. Gegen die Ausgrenzung von Menschen, gegen jene, für die die Ursache des Übels stets Andersdenkende, Minderheiten, Missliebige sind. Die Schritt für Schritt versuchen, in die Mitte der Gesellschaft einzudringen und dort ihre vergifteten Parolen zu verbreiten. Kommt uns das nicht bekannt vor? Wir leben in einer Zeit, in der es eine Sehnsucht nach einfachen Antworten und starken Frauen und Männern gibt. Die leben und handeln nach dem Motto: Wer nicht für mich und für uns ist, ist gegen mich und gegen uns. Kommt uns nicht auch das bekannt vor? Und um zu sehen, wohin das führen kann, reicht es, den Kopf zu senken. Das muss uns ein Weckruf und Warnsignal sein. Entschieden, deutlich, vernehmlich, überzeugend. So müssen und wollen wir handeln. Auch in Landau. Wo wir am 9. März gehört und erlebt haben, wie es ist, wenn rechte Hetzer durch die Stadt ziehen – und das am 4. Mai erneut vorhaben.

Anrede, verneigen wir uns vor den Opfern der mörderischen Ideologie der Nazis und setzen wir heute mit 14 weiteren Stolpersteinen ein Bekenntnis für weltoffene, tolerante, friedliche und gerechte Gesellschaft des Miteinanders – hier in Landau genau wie überall auf der Welt.

Möge uns dieser Tag dazu Motivation und Inspiration sein.“

Die komplette Ansprache von Dr. Ingenthron findet ihr im Wortlaut am Ende des Textes.

Auftakt der Verlegung der Stolpersteine durch den Künstler Gunter Demnig war in der Westbahnstr. 24. Dort war, wie die promovierte Landauer Historikerin der Initiative Stolpersteine Landau Marie-Luise Kreuter am 11. April in der „Rheinpfalz“ schrieb, das Zuhause der Familie Otto Dannheiser. Das Anwesen war auch bis ins Jahr 1932 der Geschäftssitz der Landauer Firma „Oscar Dannheiser & Co“, welche von Oscar Dannheiser und seinem Bruder im Anwesen des „Haus Maulbeerbaum“ betrieben wurde. Das Geschäft der beiden Brüder, so Kreuter weiter, war einst eine bedeutende Lebensmittelgroßhandlung in der Pfalz. Das „Haus Maulbeerbaum“ eine koschere Gastwirtschaft. Oscar Dannheiser starb bereits im Jahr 1923 und ließ seine Frau Fanny, die Tochter Margarethe sowie die Söhne Robert und Walter zurück, für die am 13. April vor dem Anwesen der Westbahnstr. 22 Stolpersteine verlegt wurden, ebenso wie für die Kinder von Margarethe, Ruth und Helmut Arnold. Aufgrund der judenfeindlichen Politik des nationalsozialistischen Regimes war die Familie spätestens 1937/38 gezwungen das gesamte Anwesen an „arische“ Käufer zu veräußern. Allen gelang zwischen 1935 und 1939 die Flucht nach Südafrika beziehungsweise nach Mosambik. Siehe auch: http://www.maulbeerbaum-landau.de/index.php/link-geschichte

In der Westbahnstr. 22 lebte das Ehepaar Ernst und Hilde Steinweiler bis sie im Sommer 1936 Unterschlupf in der Glacisstr. 9 fanden, so Kreuter weiter. Ernst Steinhäuser war Kantor, seine Ehefrau Hilde führte seit 1937 das jüdische Kaffee im Gemeindesaal in der Schützengasse 4, das dem Betsaal angeschlossen war. Neben der Synagoge, die in der Reichspogromnacht vom 09. auf den 10. November 1938 den Flammen zum Opfer fiel, waren Betsaal und Café ein Ort an dem sich die Landauer Juden noch treffen durften. Ein Schutzraum vor der feindseligen Umwelt des Nationalsozialismus, der sich auch in Landau breit gemacht hatte und ein Ort wo Landau Juden zumindest noch ein wenig ein normales, geselliges Leben in Selbstbestimmung und Würde führen konnten. Ernst Steinweiler wurde bereits am 15. 06.1938 von den Nazis ins KZ Buchenwald gesperrt. Er konnte jedoch seine Freilassung erreichen und nutze dieses Glück um mit seiner Frau Hilde am 22.11.1938 an Bord der „Rotterdam“ über Holland nach New York zu fliehen.

Ebenfalls nach Holland geflohen sind die ehemaligen Bewohner der Westbahnstr. 18: Der gebürtige Böchinger Kaufmann Josef Kern, seine Ehefrau Meta und der damals 8jährige Sohn Ferdinand. Sie gaben im März 1937 ihre Wohnung auf und emigrierten nach Holland. Dort waren sie jedoch keineswegs in Sicherheit. Ein Schicksal, dass sie sich mit vielen jüdischen Mitbürgern teilten, die Schutz vor dem Hass und den Grausamkeiten der Nazis in den Nachbarländern suchten. Die Flucht nach Holland endete für die Landauer Familie Kern im Durchgangslager Westerbork, von wo aus sie zusammen mit 100.000 weiteren Juden in die Vernichtungslager der Nazis deportiert wurden. Meta und Ferdinand wurden am 17. Juli 1937 in Auschwitz ermordet. Josef überlebte Frau und Sohn nur wenige Wochen. Er wurde am 15. August ebenfalls in Auschwitz ermordet.

Auch die Bewohner des Anwesens in der Westbahnstr. 12 gelang die Flucht. Der Weinhändler Kurt Haber, als Jude und Sozialdemokrat besonders gefährdet, begab sich bereits im Jahr 1933 zusammen mit seiner Ehefrau Hedwig und dem erst 2jährigen Sohn Klaus auf die Flucht. Da Kurt Haber Geschäftskontakte im Elsas hatte, führte die Flucht die Familie Haber zuerst nach Straßburg. Aufgrund der Evakuierung Straßburgs im Jahr 1939, flüchtete die Familie weiter in den unbesetzten teil Frankreichs, nach Vichy. Jedoch sah sich die Familie aufgrund der zunehmenden judenfeindlichen Politik der Vichy- Regierung gezwungen auch aus Frankreich zu fliehen. Im Februar 1942 konnte die Familie Haber über Casablanca nach Kuba fliehen, wo sie im Jahr 1943 beim amerikanischen Konsulat in Havanna einen Antrag auf Immigration stellte. Daraufhin landete die Familie am 27. 06.1943 in Miami. Die Familie Haber fand in New York eine neue Heimat. Der Sohn der Familie, Klaus, zu Beginn der Flucht aus Nazideutschland erst 2 Jahre alt, wurde in New York unter dem Namen Pierre Claude Haber der Vorsitzende der „Psychology Society“ und verstarb im Jahr 2006.

Wie auch die Familie Dannheisser, war die Familie Haber gezwungen gewesen, ihren Hausbesitz unter Wert an „arische Käufer“ zu verkaufen. Beide Familien strengten nach dem Kriegsende Wiedergutmachung, sogenannte Restitutionsklagen an. Das Anwesen Nordring 37, seit 1932 Firmensitz der Lebensmittelgroßhandlung Dannheisser, gelangte dadurch wieder in den Besitz der „Dannheisser Erben“. Für die Anwesen der Familie Dannheisser in der Westbahnstr. 24 und der Familie Haber in der Westbahnstr. 12 mussten die „arischen“ Erwerber Nachzahlungen leisten.

Quellen: https://www.rheinpfalz.de/lokal/landau/artikel/es-waren-menschen-wie-du-und-ich/?tx_rhpnews_shownews[reduced]=true

http://www.maulbeerbaum-landau.de/index.php/link-geschichte

Die Rede des Landauer Bürgermeisters Dr. Maximilian Ingenthron:

Dreizehnte Verlegung von Stolpersteinen

Samstag, 13. April 2019

Dr. Maximilian Ingenthron

Anrede,

1939 – 2019: Im September liegt es 70 Jahre zurück, seit mit dem Zweiten Weltkrieg der letzte Akt der furchtbarsten Tragödie der Menschheitsgeschichte begann.

Dem Eroberungs-, Rassen- und Vernichtungswahn der Nationalsozialisten und seiner Mordmaschinerie fielen rund 60 Millionen Menschen zum Opfer.

Unfassbar, diese Zahl. Eine abstrakte Größe. Wird sie greifbarer, wenn ich sage, dass dies 1.250 Mal der Bevölkerung der Stadt Landau heute entspricht?

1.250 Mal eine mittelgroße Stadt wie Landau ausgerottet, ihrer kompletten Bevölkerung das Leben genommen. Menschen, die nichts Anderes wollten als wir – ein gutes, auskömmliches, glückliches Leben leben, in Frieden und Freiheit.

Und das sind nur die Toten. Wie viele Millionen Menschen mehr verloren ihre Heimat, ihr Eigentum, ihre körperliche und seelische Gesundheit, ebenso vielleicht ihren Glauben an das Gute auf der Welt und das Gute im Menschen?

All das spielte sich auch in Landau ab. Die Weltkatastrophe im Mikrokosmos sozusagen. Der Nationalsozialismus und am Ende auch der Krieg mit all seinem Schrecken in allen seinen Facetten war Teil unserer Stadt und im Alltag gegenwärtig.

Nicht mehr Teil unserer Stadt und nicht mehr im Alltag gegenwärtig hingegen sollten für die Nazis jene sein, die nicht zur arischen, politisch zuverlässigen Volksgemeinschaft angehörten. Sie bezahlten auch in Landau ihr „anders sein“, ihr „anders denken“ mit dem Verlust ihrer Heimat, ihres Lebens.

All das traf im Mikrokosmos Landau rund 600 Bürgerinnen und Bürge jüdischen Glaubens zu. Nicht etwa Juden, die mehr oder minder zufälligerweise einen deutschen Pass hatten. Nein: Deutsche jüdischen Glaubens. Das waren sie, so sahen sie sich, das wollten sie sein. Teil der Stadt, Teil des Staates, Teil der Gesellschaft. Menschen wie du und ich.

Die Angehörigen der jüdischen Glaubensgemeinschaft wurden immer weiter aus der Mitte der Gesellschaft an den Rand gedrängt. Schritt für Schritt, ganz systematisch. Sie wurden verfolgt, gedemütigt, vertrieben, eingekerkert, ermordet.

Ihnen allen wollen wir mit Stolpersteinen symbolisch ihren Platz in Landau wiedergeben. Heute schon zum 13. Mal – und damit schon für 254 unserer früheren Landauer Mitbürgerinnen und Mitbürger ist das damit erreicht und gelungen.

Wie sehr wir uns auch wünschten, dass dies niemals notwendig gewesen wäre, so sehr dürfen wir uns doch freuen über den Gemeinsinn, die Solidarität, die gelebte Verantwortung und die lebendige Erinnerungskultur, die darin und dadurch zum Ausdruck kommt.

Sehr herzlich begrüße ich Gunter Demnig. Er war es, der dieses herausragende Projekt vor 23 Jahren initiiert hat – und der längst zu einem guten Bekannten in unserer Stadt geworden ist.

Möglich geworden sind die bisherigen Verlegungen durch das großartige Engagement vieler Spenderinnen und Spender, durch die unermüdliche Arbeit des Arbeitskreises Stolpersteine und unserer Stadtarchivarin Christine Kohl-Langer.

Ihnen gilt mein, unser herzlicher Dank!

Namentlich und stellvertretend nenne ich

  • Sigrid Weyers (AK Stolpersteine seit Sommer 2011)
  • Ich nenne die Patinnen und Paten, die die Steine finanzieren
  • Dr. Gertraud Migl
  • Stolperstein für Fanny Dannheiser, Nr. 24
  • Dr. Karl-Heinz Rothenberger
  • Stolperstein für Robert Dannheiser, Nr. 24
  • Familie Altherr
  • Stolpersteine für Hedwig, Kurt und Klaus Faber, Nr. 12

Mein Dank gilt einer Sammelpatenschaft, finanziert aus dem Projekt „Landauer Leben“ sowie aus Führungen zur jüdischen Geschichte, die Christine Kohl-Langer und Gästeführer Manfred Ullemayer machen.

  • Stolpersteine für Walter Dannheiser, Margarete, Ruth und Helmut Arnold, Nr. 24
  • Stolpersteine für Hilde und Ernst Sternweiler, Nr. 22
  • Stolpersteine für Meta, Josef und Ferdinand Kern, Nr. 18 („Landauer Leben“)
  • Michael Letzel für die musikalische Umrahmung
  • den Mitarbeitern des Bauhofs, Herrn Wolf und Herrn Speckamp und Herrn Lauffer
  • die Presse, die immer sehr umfassend und mit viel Interesse und Neigung berichtet

Ihnen allen für Ihr Kommen und das Signal, das Sie damit setzen.

Anrede,

wenn wir jetzt diese 14 Stolpersteine verlegen, geben wir den Menschen ihren Namen und ihren Platz in unserer Mitte wieder – und damit ein Stück ihrer Würde, die ihnen die Nazis genommen haben.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Dieses Bekenntnis im Grundgesetz ist eine der zentralen Lehren aus der Zeit des Nationalsozialismus.

Diese Verpflichtung umfasst indes nicht nur die staatliche Gewalt, sondern uns alle. Jede und jeden von uns ganz persönlich.

Es ist unsere Verpflichtung in der Gegenwart – in der Verantwortung gegenüber unserer Vergangenheit. Für eine Zukunft, die allen Menschen eine gute Perspektive für ein selbstbestimmtes Leben bietet.

Wir alle sind aufgerufen, uns aktiv gegen jegliche Tendenzen zur Radikalisierung in unserer Gesellschaft zu stemmen.

Gegen die Ausgrenzung von Menschen, gegen jene, für die die Ursache des Übels stets Andersdenkende, Minderheiten, Missliebige sind. Die Schritt für Schritt versuchen, in die Mitte der Gesellschaft einzudringen und dort ihre vergifteten Parolen zu verbreiten. Kommt uns das nicht bekannt vor?

Wir leben in einer Zeit, in der es eine Sehnsucht nach einfachen Antworten und starken Frauen und Männern gibt. Die leben und handeln nach dem Motto: Wer nicht für mich und für uns ist, ist gegen mich und gegen uns.

Kommt uns nicht auch das bekannt vor? Und um zu sehen, wohin das führen kann, reicht es, den Kopf zu senken. Das muss uns ein Weckruf und Warnsignal sein.

Entschieden, deutlich, vernehmlich, überzeugend. So müssen und wollen wir handeln. Auch in Landau. Wo wir am 9. März gehört und erlebt haben, wie es ist, wenn rechte Hetzer durch die Stadt ziehen – und das am 4. Mai erneut vorhaben.

Anrede,

verneigen wir uns vor den Opfern der mörderischen Ideologie der Nazis und setzen wir heute mit 14 weiteren Stolpersteinen ein Bekenntnis für weltoffene, tolerante, friedliche und gerechte Gesellschaft des Miteinanders – hier in Landau genau wie überall auf der Welt.

Möge uns dieser Tag dazu Motivation und Inspiration sein.