Gedenken Reichspogromnacht – NIE WIEDER IST JETZT!

„Auf beiden Straßenseiten standen Männer und schlugen mit Eisenstangen Schaufenster ein. Überall krachte und splitterte Glas. Es waren SS-Leute in schwarzen Breeches und hohen Stiefeln, aber in Ziviljacken und mit Hüten. Sie gingen gelassen und systematisch zu Werke. Jedem schienen vier, fünf Häuserfronten zugeteilt. Sie hoben die Stangen, schlugen mehrmals zu und rückten dann zum nächsten Schaufenster vor. Passanten waren nicht zu sehen…“ [1] so erinnerte sich Erich Kästner an jene Nacht des 8. und 9.November 1938. Am diesen Tag ließen die Nationalsozialisten ihren Hass gegen Jüdinnen und Juden freien Lauf. Wie ein spontaner „Volkszorn“ wollte man es aussehen lassen aber es war ein von den Nazis geplanter und orchestrierter Pogrom gegen die jüdischen Mitmenschen in ganz Deutschland. Zynisch nannten sie die Nacht in der Deutschlandweit die Synagogen brannten und jüdische Geschäfte und Wohnung zerstört und geplündert wurden, die „Reichskristallnacht“, was für eine infame Bezeichnung um die Brutalität in dieser Nacht zu verharmlosen.

Auch bei uns in Landau fand dieser abscheuliche Pogrom statt. In Landau trieb man die jüdischen Männer im Betsaal zusammen, misshandelte sie mit Faustschlägen, Tritten, Schlagstöcken und Besenstielen. Man zwang sie die Tora, die heiligen Schriften des Judentums zu entweihen, in dem man sie unter Misshandlung aufforderte diese anzuspucken oder zu treten, die Tora, die für gläubige Juden so heilig ist, dass sie nicht einmal mit Händen berührt werden darf. Wie enthemmt die verbrecherischen Nazis hier im Betsaal vorgingen verdeutlicht das Beispiel des Synagogenvorstehers der Böchinger Synagoge, Salomon Wolff, der in Folge der Demütigungen und massive körperliche Misshandlungen durch diese Verbrecher an der Menschheit zu Tode kam. Die im Landauer Betsaal zusammengetriebenen jüdischen Menschen, konnten die Misshandlungen zwar nicht sehen, aber deutlich die Schmerzensschreie und die Todesdrohungen hören, solange bis es still war. [2]

Und heute? Heute erleben wir weltweit ein erneutes brutales Aufkommen des Antisemitismus. Die Terrororganisation Hamas erschüttert mit ihrem feigen Terror den letzten Schutzraum für Jüdinnen und Juden, den Staat Israel und ruft weltweit dazu auf alle jüdischen Menschen und deren Einrichtungen anzugreifen. Während in einigen Ländern auf den Straßen „nur“ zur Vernichtung Israels und der jüdischen Menschen aufgerufen wird, werden in anderen Ländern diese Aufrufe auch umgesetzt.

Auch in Deutschland, dem Ursprungsland des Holocaust. Synagogen werden beschmiert und beschädigt, Häuser und Wohnblocks in denen jüdische Familien wohnen, werden mit dem Davidstern markiert, Gedenkveranstaltungen werden gestört [3] und der Verband der KZ Gedenkstätten melden so viele Angriffe auf Mahnmale und Gedenkstätten, hauptsächlich durch die extreme Rechte, wie nie zuvor [4].

Wir sind an einem gefährlichen Punkt unserer Geschichte angelangt, an dem „Nie wieder“ augenscheinlich zu einer leeren Worthülse verkümmert ist. Wehret den Anfängen ist schon lange vorbei, Nie wieder ist Jetzt!

Aber eins muss in aller Deutlichkeit gesagt werden: Wer jüdische Menschen und jüdische Einrichtungen angreift ist kein Aktivist für die Palästinenser, sondern ist ein Antisemit der die palästinensischen Interessen mit Füßen tritt. Auch kann Antisemitismus nicht antimuslimischen Rassismus bekämpft werden. Minderheiten gegen Minderheiten auszuspielen ist ein niederträchtiger Akt aus dunklen Zeiten. Auch an die deutsche Linke müssen hier klare Worte gerichtet werden: Wer aus falsch verstandenem Antiimperialismus und Antikolonialismus heraus die Terrorpropagandaerzählung „des Widerstandaktes gegen die Besatzungsmacht“ reproduziert, betreibt hier klare Täter- Opfer Umkehr und relativiert das Leid der israelischen und palästinensischen Opfer des Hamasterrors und ihrer Angehörigen! Unsere Erinnerungskultur ist der wichtigste Grundpfeiler unserer wehrhaften Demokratie, die es in der heutigen Zeit stärker als zuvor
gegen Demokratie- und Menschenfeinde zu verteidigen gilt.

Quellenangaben:
[1] aus: Erich Kästner: Notabene 45. Ein Tagebuch, Frankfurt/M 1983, S.140f
[2] Vgl. Martin, Michael, „Die Nacht vom 9./10. November 1938“ in Stadt Landau (Hrsg.), 2013, S. 427 – 492
[3] s. https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/chronik/ und https://www.deutschlandfunk.de/antisemitismus-102.html
[4] s. https://www.tagesschau.de/…/rechtsextreme-bedrohung-kz

Gedenken: Deportation nach Gurs

Heute vor 83 Jahren wollten unsere jüdischen Mitbürger:innen das Ende des Sukkot [1], zu Deutsch Laubhüttenfest, feiern. Sukkot ist als das jüdische Erntedankfest, bei dem auch an den Auszug aus Ägypten erinnert wird, bekannt. Es ist das größte Freudenfest des jüdischen Volkes.
Doch das Laubhüttenfest, ein Fest der Freude, ein Fest des Gedenkens wurde an diesem 22. Oktober 1940 zum traurigsten Tag der jüdischen Gemeinden in der damaligen Saarpfalz und Baden.
Heute vor 83 Jahren, wurden die bis dahin noch verbliebenen 34 Landauer jüdische Bürger:innen zusammen mit insgesamt 6.500 jüdischen Menschen aus der Saarpfalz und Baden nach Südfrankreich in das Lager Gurs deportiert. Ihnen blieb gerade einmal 2 Stunden Zeit ihre Habseligkeiten zu packen, bevor sie in alten französischen Personenwaggons vom Landauer Bahnhof nach Gurs deportiert wurden. Dabei durften sie noch nicht einmal all ihre Habseligkeiten mitnehmen. Pro Person war 1 Koffer oder ein Paket von maximal 50 KG für Erwachsene und maximal 30 KG für Kinder, Kleidung, 1 Wolldecke pro Person, Verpflegung für mehrere Tage, Bargeld maximal 100 Reichsmark pro Person, Ess- und Trinkgeschirr erlaubt. Den Rest ihrer Habseligkeiten mussten unsere Mitbürger:innen in ihren Wohnungen zurücklassen, wo sich die nichtjüdische Bevölkerung Landaus nach der Deportation an den Besitztümern der deportierten Jüdinnen und Juden bereicherte.
Am Landauer Bahnhof erfuhren unsere Mitbürger:innen Demütigung, Entrechtung und Gewalt durch die Nationalsozialisten.
Die Aktion war lange im Vorfeld minutiös geplant. Wenige Tage nach der Deportation nach Gurs vermeldete Josef Bürkel als erster deutscher Gauleiter den Gau Saarpfalz als “judenfrei”.
Diese erste großangelegte Massendeportation jüdischer Menschen ist bis heute als Blaupause für die nach der Wannseekonferenz 1941 beginnenden Deportationen jüdischer Mitbürger:innen in Konzentrations- und Vernichtungslager bekannt.
Viele der jüdischen Deportierten starben bereits auf der Fahrt oder bald nach der Ankunft im Lager in Gurs. Die Überlebenden wurden später in die Vernichtungslager gebracht. Die meisten von ihnen wurden von den Nationalsozialisten in Auschwitz ermordet.
Dem Hass der Nazis fielen aber nicht nur unsere jüdischen Mitbürger:innen zum Opfer, auch Sinti und Roma, Jenische, Fahrende, Homosexuelle, Transsexuelle, kranke Menschen mit psychischen, geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen und viele mehr, wurden von den Nazis als “unwertes Leben”, als „Untermenschen“ kategorisiert, verfolgt und ermordet.
Dies ist auch heute noch traurige Realität. Immer noch werden diese Menschengruppen verfolgt, diskriminiert, gedemütigt und ermordet.
Heute am 22. Oktober 2023 gedenken wir der Opfer der Deportation nach Gurs, während sich die Geschichte auf schrecklichste und unvorstellbare Art wiederholt.
Am 07. Oktober 2023 feierten jüdische Menschen weltweit das Simchat Tora, das 2. Schlussfest des Laubhüttenfests, als die Terrororganisation Hamas, in Israel einfiel. Dabei folterten und massakrierten bzw. ermordeten die Hamas und ihre Verbündeten mindestens 1400 Zivilisten und Soldaten, verletzten 4100 Menschen, und entführten über 200 weitere. Es werden außerdem seit den Angriffen mehr als 1000 Menschen in Israel vermisst.
Doch der Aufschrei blieb aus. Stattdessen sahen wir Bilder von Menschen, die diesen barbarischen Terrorakt als legitimen Widerstand gegen Israel feierten. Häuser jüdischer Menschen in Deutschland wurden mit dem Davidstern markiert. Die Hamas rief zu „Tagen des Zorns” auf. Weltweit sollten möglichst viele jüdische Menschen getötet, Anschläge auf jüdische Institutionen verübt werden. Die Folge waren antisemitische Ausschreitungen auf unseren Straßen, Brandanschläge auf Synagogen und tätliche Angriffe auf jüdische Menschen.
Deutsche Medien übernehmen ungeprüft die Terrorpropaganda der Hamas. Übelste antisemitische Stereotypen werden von deutschen “Intellektuellen” unreflektiert reproduziert. Der Aufschrei bleibt aus. Die Mehrheitsgesellschaft schweigt!
Von NIE WIEDER keine Spur!
Solange dies in unserer Gesellschaft noch ohne Aufschrei geschehen kann, solange haben wir aus unserer Geschichte nichts gelernt!
Wir dürfen nicht müde werden zu mahnen, uns einzumischen, laut zu sein und uns gegen jeden Antisemitismus zu stellen! Uns hinter unsere jüdischen Mitbürger:innen zu stellen und auch schützend vor sie! Nie wieder darf nicht weiter zur Floskel verkümmern!
NIE WIEDER IST JETZT!
[1] ausführliche Infos hier: https://www.israelmagazin.de/…/laubhuttenfest-sukkot
https://embassies.gov.il/…/Feiertage/Pages/Sukkot.aspx
https://de.chabad.org/…/arti…/aid/5246/jewish/Sukkot.htm